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Nie mehr vergessen: Gedenkstättenfahrt Auschwitz/Krakau

Tod macht frei

Nach vielen Jahren Vorbereitung, Anträgen, durchkreuzten Planungen – u. a. durch die Corona-Jahre – sowie Pannen in letzter Minute: Verschiebung, Absagen und Neuaufnahmen war es am Sonntagmorgen, 29.01.2023 um 5:30 Uhr, endlich so weit: Die 14-stündige Fahrt nach Oświęcim, unter deutscher Besatzung 1935-1945 Auschwitz genannt, konnte starten. Die Bus-Besatzung: 17 SchülerInnen der Stufe 12 aller Bildungsgänge des Beruflichen Gymnasiums, drei BKO-Lehrkräfte: Ranjana Empt, Regina Schleheck, David Wurth-Viola, außerdem Malou Krämer als Begleitperson des Sponsors Konrad-Adenauer-Stiftung sowie Fahrer Mike, später Uwe. Abends vor Ort wurden wir von unserer polnischen ständigen Betreuerin Beata Zaba empfangen.

Ein umfangreiches Programm zum Thema Holocaust erwartete uns die nächsten vier Tage, beginnend mit einer vierstündigen Führung, die durch das Tor der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagers Auschwitz I mit der zynischen Botschaft „Arbeit macht frei“, startete. In dem 1941 als Stammlager errichteten Ziegelstein-Gebäudekomplex wurden etwa 70.000 Menschen zusammengepfercht, gequält, gefoltert und beraubt, um bei Mangelernährung schwerste körperliche Zwangsarbeit zu verrichten, die früher oder später zum Tod führte – wenn nicht durch Willkür, Erfrieren, Hinrichtung, Vergasung oder die Menschenexperimente Dr. Mengeles und anderer. In einem Workshop wurden Gefühle und Dilemmata der Inhaftierten aufgearbeitet und in einer abschließenden – täglichen – Reflexionsrunde die eigenen Gedanken und Empfindungen ausgetauscht und in einem persönlichen Tagebuch festgehalten.

Tag zwei galt dem Leben in Oświęcim vor dem Zweiten Weltkrieg. 60 Prozent der damaligen Einwohner waren jüdischen Glaubens, heute lebt dort kein einziger Jude mehr. Begleitet von Alessio, einem österreichischen Ersatzdienstleistenden der Aktion Sühnezeichen, besichtigten wir die Synagoge, das jüdische Museum, das jüdische Viertel und den jüdischen Friedhof, der in einem traurigen Zustand ist. Nachmittags erfuhren wir in einer Ausstellung von der Geschichte und Kultur der Roma, eine in zahlreiche Untergruppen gegliederte ethnische Minderheit, ursprünglich vermutlich vom indischen Subkontinent stammend. Roma und Sinti – wie die zweitgrößte Gruppe genannt wird – leben seit 700 Jahren in verschiedenen europäischen Ländern, wurden aber aufgrund von Arbeitsverboten oder Vertreibung selten dauerhaft sesshaft. Ihre Ermordungsquote während des Nationalsozialismus lag in einigen Ländern bei 90 Prozent. Für manche überraschend: Stars wie Charly Chaplin, Greta Garbo, Elvis Presley oder der Boxer Tyson Fury hatten Roma-Wurzeln.

Die Begehung des ehemaligen Vernichtungslagers Birkenau, dem größten im NS-Staat, ging noch deutlich mehr an die Substanz als die des eher als museal empfundenen Lagers I. Im KL II wurden die meisten der insgesamt 1,1 Millionen in Auschwitz ermordeten Männer, Frauen und Kinder umgebracht, etwa eine Million davon jüdischen Glaubens, daneben Roma, politische und Kriegsgefangene, Homosexuelle und andere missliebige Personen, ehe das Lager 1945 durch sowjetische Einheiten befreit wurde. Wir betraten das fast 200 Hektar große Gelände an den Gleisen entlang, auf denen die Güterwagen eingefahren waren, deren Insassen gleich an der Rampe selektiert wurden: Alte, Kranke, Kinder und ihre Mütter führte man sofort in eine der sechs als Duschen getarnte Gaskammern. Ihre Leichen wurden in vier Krematorien verbrannt. Wer arbeitsfähig erschien, wurde bis auf Weiteres in eine der 30 Meter langen und zehn Meter breiten Baracken einquartiert, in denen zwischen 700 und 2000 Personen in Holzregallagern schlafen mussten, zu zehnt oder zwölft in Fächern von vier Metern Breite, Waschmöglichkeiten, Toiletten oder betriebsfähige Heizöfen gab es in den meisten Holz-Blockhütten nicht. Vier Stunden lang erwanderten wir bei beißender Kälte, Wind und Schneeregen die verschiedenen Stationen der Vernichtung – im Gegensatz zu den Todgeweihten dick eingemummelt und mit festem Schuhwerk –, legten Blumen nieder und hatten schlussendlich große Mühe, im Kinderblock die Fassung zu bewahren.
Im Kolbe-Zentrum in einem Franziskaner-Kloster sahen wir nachmittags die apokalyptischen Zeichnungen des Auschwitz-Überlebenden Marian Kolodziej, der das Grauen des Todeslagers, das ihn nie verließ, in eindrücklichen Bildern wiedergab.

Vierter Tag: Krakau. Nach der sechsten kurzen Nacht begleitete uns vormittäglicher Eisregen durch das jüdische Viertel Kasimierz und das ehemalige Ghetto Podgorze. Im Verlauf eines Synagogenbesuch und der Erkundung des dahinter liegenden jüdischen Friedhofs Remuth hellte sich der Himmel auf. Der Marsch durch die Hauptstadt der Woiwodschaft Kleinpolen auf den 230 Meter hohen Wawel mit der imposanten Kathedrale und Burganlage, Residenz der polnischen Könige, 1939-45 des „Schlächters von Polen“ und „Herrscher Frank-Reichs“, des nationalsozialistischen Generalgouverneurs Hans Frank, war der krönende Abschluss nach den Anstrengungen der letzten Tage. Am Fuß der Burg, gleich am Ufer der Weichsel, konnten wir abends den feuerspeienden Drachen bestaunen, der der Legende nach dort gehaust haben soll, bis ein Schusterjunge ihm ein mit Schwefel gefülltes Lamm zum Fraß anbot, nach dessen Verzehr er so durstig wurde, dass er so lange trank, bis er platzte. Im Abschlussgespräch gaben alle TeilnehmerInnen an: Nie zuvor hätten sie so umfänglichen, intensiven und bewegenden Input erfahren, für den sie sich nachdrücklich bedankten.

Wir hoffen sehr, dass wir diese Exkursion 2023/24 wieder anbieten können – vorzugsweise in der Woche nach den Herbstferien, wenn es noch nicht ganz so bitterkalt ist. Wenn sie dürften, würden die meisten gleich wieder mitfahren. Wir – die Lehrkräfte – waren beeindruckt von dem Durchhaltevermögen, dem Interesse und der Veränderung, die wir in den wenigen Tagen bei unseren Teilnehmern erleben durften.

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