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Die Schrift an der Wand und in der Hand - Zwei verspätete „Heimspiel“-Lesungen und Gespräche mit Christian Linker

Am Donnerstag, 07. Oktober 2021 kam der Leverkusener Schriftsteller Christian Linker in den ersten beiden Stunden ins Selbstlernzentrum des BKO, um vor zwei Klassen – TETA11 und WAHF12 – zu lesen und mit den SchülerInnen ins Gespräch zu kommen. Ermöglicht wurde die für die Schule kostenlose Veranstaltung durch die Initiative „Heimspiel – Kölner Autoren und Autorinnen lesen für Kölner Schulen“, in erster Linie gesponsert durch die RheinEnergie. Dass auch eine Leverkusener Schule in den Genuss kam, mitmachen zu dürfen, ist zu Teilen sicherlich dem Umstand geschuldet, dass auch der Autor nicht in Köln, sondern hier ansässig ist. Die ursprünglich für 2020 geplanten Lesungen waren wegen der Corona-Situation mehrfach verschoben worden.

Gleich mehrere Bücher hatte Linker für die Lesung mitgebracht und seinem Publikum zur Wahl vorgestellt:

„Und dann weiß jeder, was ihr getan habt“ (dtv, 2019), einen Roman, in dem es um Flüchtlingsprobleme und sexuellen Missbrauch geht und den die WAHF12 bereits als Lektüre im Deutschunterricht bearbeitet hatte.

„RaumZeit“ (2003, dtv), das erste Buch Linkers, das die Nöte eines jungen Strafgefangenen, der sich verliebt, behandelt.

„Dschihad Calling“ (2016, dtv), das in Deutschland und Syrien spielt, Linkers umstrittenster Roman, mit dem er sich vielen Diskussionen und Talkrunden stellen musste.

„Toxische Macht“ (2021, dtv), sein aktuellstes Buch, in dem es um eine junge Kanzlerkandidatin der neu gegründeten „Future“-Partei geht.

Die Mehrheit entschied sich für „RaumZeit“, aus dem der Autor zwei Textauszüge vorstellte. Zum Einstieg las Linker – Buch in der Hand – von der Ankunft seines Protagonisten Tim Landberg im Jugendstrafvollzug, wo er schließlich auf seiner Pritsche in der kahlen Zelle auf eine „Schrift an der Wand“ wartet, Anspielung auf Alfred Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund“, die aber nicht erscheint. Stattdessen nimmt Tim Kontakt mit dem ebenfalls inhaftierten „Naziwichser“ Bodo Ingel auf, der ihn unter seine Fittiche nimmt, und verliebt sich schließlich in Martha, die ein Kunstunterrichts-Projekt ins Gefängnis führt. Beim ersten Freigang landet er mit ihr im Bett. Mit der brennenden Frage, wie diese Beziehung weitergehen kann und warum Tim überhaupt einsitzt, ließ Linker seine Zuhörer dann sitzen, stellte sich aber ihren Fragen, etwa zu seiner Sprache – Annäherung an Jugendsprache –, ob und wie er als studierter Theologe religiöse Themen einflechte und wie nah seine Figuren an der Realität seien. Linker gab in den Antworten einige Anekdoten zum Besten und wahrte die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, was bei dem jungen Publikum offensichtlich gut ankam, sodass einige der mehrheitlich nicht dem Lesen zugeneigten Zuhörer sich interessiert zeigten, einmal ein Buch von ihm genauer in Augenschein zu nehmen.

Am Tag darauf, Freitag, den 08. Oktober, besuchte Christian Linker erneut in den ersten beiden Stunden diesmal den Kurs Praktische Philosophie der AHR-Elfer-Klassen aus den Abteilungen Gesundheit und Soziales, Technik und Wirtschaft und Verwaltung und hatte ein besonderes Schmankerl mitgebracht: Passend zum Kursthema Sekten und Verschwörungstheorien gab es eine „Sneak-Preview-Lesung“, wie er es nannte, einen Vorgeschmack auf einen noch nicht veröffentlichten Roman. „Y-Game“ erscheint Ende 2021 und schildert aus der Perspektive des Ich-Erzählers und Außenseiters Janosch dessen Erfahrungen mit einem perfiden Spiel, einem Alternate Reality Game, das auf verschiedene Medien zurückgreift und so die Grenze zwischen fiktiven Ereignissen und realen Erlebnissen verwischt. Immer wieder findet man im Real Life kryptische Hinweise, die die Spieler in den Sog eines Verschwörungsmythos ziehen. Entsprechend der Ideologie der QAnon-Anhänger, die die Regierungen dieser Welt für Marionetten mysteriöser Strippenzieher halten, angeblich befördert von Prominenten wie Bill Gates, Hilary Clinton, Joe Biden, Angela Merkel, George Soros, Britney Spears und einer behaupteten jüdischen Verschwörung, geht es auch hier darum, dass unschuldige Kinder entführt und in geheimen Folterkellern vergewaltigt und gequält werden. Der Oberbürgermeister des Städtchens, in dem Janosch lebt, soll an dem grausigen Geschäft mit Adenochron beteiligt sein, einem Stoffwechselprodukt der Zirbeldrüse, das bei Angst und Stress abgesondert und den Kindern abgezapft wird, um daraus einen Verjüngungstrank zu mixen. Wieder einmal mehr ist Christian Linker damit hart am Puls der aktuellen Geschehnisse: Im Zuge der Pandemie trieben derart abstruse Schwurbeleien weltweit Blüten.

Im anschließenden Gespräch konnten bis zum Klingeln kaum alle Fragen der Schülerinnen beantwortet werden, die viele Aspekte betrafen: von dem, was Linker inspiriere, zu seinen Themen, der Recherche, der Figurenkonstruktion bis hin zur Bezahlung: Erhält ein Schriftsteller ein monatliches Gehalt oder wird er pro Buch bezahlt? Linker gab nicht nur ausführliche Antworten, sondern konnte wieder mit vielen Erfahrungsberichten punkten, eigene Irrtümer oder Fehleinschätzungen eingeschlossen. Gefragt, für wie bedrohlich er Verschwörungserzählungen halte, gab er sich zuversichtlich: Demokratie als die beste aller Gesellschaftsformen müsse und könne viel aushalten, auch dass gelegentlich der Teufel an die Wand gemalt werde.

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